Lebenslinie Alkohol Martin
Lebenslinie Alkohol
Ein Ausschnitt aus meiner „nassen“ Lebensphase
In das Forum möchte ich schreiben, wie eine Zeit meiner „nassen“ Phasen aussah und wie man mich falsch eingeschätzt hatte. Außerdem soll es auch eine Geschichte sein, die letztendlich bedeutet, dass man als noch so schlimmer Alkoholiker eine Hoffnung auf Rettung hat, wenn man aufhört zu trinken.
Es ist Frühjahr und wieder einmal war ich am ersten Mai betrunken ins Krankenhaus gebracht worden. Der Kaffee schmeckte nicht und ich fand mich ziemlich isoliert von den anderen Patienten. Das Spielchen: Krankenhaus rein, Krankenhaus raus spielte ich schon eine ganze Weile. Zu der Zeit wohnte ich im Stark Betreuten Appartementwohnen bei PINEL in Berlin. Dort wohnen Leute, die eine Doppeldiagnose haben. Suchtmittel wurden geduldet – jedoch nicht mehr bei mir. Ich musste mir langfristig etwas Neues suchen. Die Sozialarbeiterin der Suchtstation meinte, dass ich doch in eine Einrichtung einziehen solle, in der man, begrenzt durch das Geld, moderat trinken kann. Sie glaubte mir nicht mehr, dass ich nüchtern leben wollte, beziehungsweise konnte. Die Entgiftung verließ ich sofort und ich holte mir auch erst mal ein paar Bier. Nachdem es mir wieder „gut“ ging, das heißt, der Alkoholspiegel wieder so hoch war, dass ich mich „normal“ fühlte, telefonierte ich mit Haus Langhans. Diese Einrichtung hatte sie mir empfohlen. Wir vereinbarten einen Termin und ich ging mit meiner Bezugsbetreuerin dort hin. Die Sozialarbeiter des Hauses Langhans waren sehr nett. Leider war kein Zimmer frei und ich kam auf die Warteliste. PINEL sagte mir zu, dass ich solange im Appartementwohnen bleiben konnte, bis ein Platz frei wurde. So ganz wollte ich mich damit nicht abfinden. Immer wenn ich Zweifel hatte, ging ich dort vorbei und redete mit den Sozialarbeitern. Sie versicherten mir, dass es mir gut gehen wird, da man dort Vollverpflegung hat – und das Trinken würden wir auch in den Griff bekommen. Es gibt nur ein wenig Taschengeld, rund achtzig Euro pro Monat, damit musste man sich seinen Konsum finanzieren. Schließlich wurde es Spätsommer und ich hatte Glück, das ein Platz frei wurde. Der Grund war, dass jemand an Alkoholvergiftung gestorben ist. Das Zimmer bekam ich. Der Umzug fand statt und ich wohnte ab dann im Haus Langhans.
Eigentlich durfte man nur fünf Bier über den Tag verteilt trinken. Doch daran hielt sich keiner im Haus Langhans. Ich trank täglich drei Liter Wein. Er schmeckte fürchterlich – es waren die Tetrapacks von Kaisers. Mir ging es ja nur um die Wirkung des Alkohols. Ich brauchte einen großen Spiegel, um „normal“ zu sein. Das „normal sein“ bedeutete, dass ich so einen Alkoholspiegel um die zwei Promille hatte. Manchmal hatte ich auch mehr intus. Mein Leben in der „nassen“ Zeit war sehr einfältig und langweilig. Morgens war ich so zittrig, dass ich nicht einmal unterschreiben (für das Taschengeld) konnte. Erst nach einem Liter Wein war ich dazu in der Lage. Meine Betreuer schimpften immer mit mir, wenn ich so ankam. Ich solle mir doch das Trinken so einteilen, dass ich nicht in Entzug komme. Doch genau da fängt ja meine Sucht an – ich kann es nicht kontrollieren. Zu Anfang der Zeit im Haus Langhans habe ich zwei Entgiftungsversuche gemacht. –einmal im Urban Krankenhaus und einmal im Sankt Josef Krankenhaus. Ich hielt aber nicht durch. Ich war ohne Perspektive und hatte mich dann so langsam an das Haus Langhans gewöhnt. Die Tatsache, dass ich auf keiner Entgiftung durchhielt, war dann auch Beleg für meine Betreuer, dass ich ohne Alkohol vermeintlich nicht leben konnte.
Mit meinen Mitbewohnern hatte ich nur zu „Leo“ Kontakt. Er wohnte im Zweibettzimmer und dort war immer etwas los. Man unterhielt sich meistens über Alkohol – es war sehr stupide. Wenn wir zusammen einkaufen gingen, dann machten wir „Boxenstopp“ mit einem Bier. Intellektuell konnte keiner der Bewohner mit mir mithalten. Die meisten hatten eine faschistische Ansicht. Das bezog sich auch auf das Essen – sie wollten „Deutsche Küche“. Reis war verpönt und sie nannten es „Schlitzaugenfutter“. Nudeln wollten sie auch nicht – nur Kartoffeln. Zweimal in der Woche wurde selbst gekocht, ansonsten kam das Essen von einer Großküche. Da ich gerne koche, habe ich es meistens gemacht. Ich liebe die mediterrane Küche und „Deutsche Küche“ kam für mich nicht in Frage. Es kann ja auch nicht jeden Tag „Eisbein, mit Kartoffeln und Sauerkraut“ geben. Die Bewohner waren sehr mäkelig, aber das störte mich nicht. Ich war ja auch mäkelig und Eisbein mag ich überhaupt nicht. Es kam schon vor, dass die meisten Leute nicht zum Essen kamen, wenn ich kochte.
Schließlich wurde es Oktober und Weihnachten rückte näher. Ich wollte an Weihnachten nach Hause zum Bodensee fahren. Das ging aber nur, wenn ich eine ultimative Entgiftung machte. Denn mein körperlicher Zustand war sehr schlimm, wenn ich nicht getrunken habe. Damit musste ich mich erst einmal abfinden. Als ich das meinen Betreuern sagte, meinten sie, dass ich das nicht durchhalten würde. Doch ich wollte den Entgiftungstermin zeitnah an Weihnachten wählen. Außerdem in dem Krankenhaus meiner Wahl, nämlich das Sankt Hedwig Krankenhaus in Mitte. Dort hatte ich gute Erfahrungen gemacht, was meine Entzüge betraf. Wir vereinbarten ein Gespräch zusammen mit meiner Bezugsbetreuerin – von dem ich leider nicht mehr weiß, was wir dort besprochen haben. Eines muss ich meinen damaligen Betreuern lassen – sie haben das gemacht, was ich mir gewünscht habe, trotz aller Bedenken. Der Termin wurde so gelegt, dass ich vier Wochen Zeit hatte, in der Entgiftung. Bis zum Aufnahmetermin musste ich, gegen meinen Willen, weitertrinken. Die Gefahr, in einen „Cold Turkey“ zu kommen war sehr groß. Mein Körper verlangte immer mehr Alkohol. Man konnte schon lange nicht mehr vom kontrollierten Trinken reden. Ich hatte es nicht unter Kontrolle. Das Konzept des Hauses Langhans war nicht für mich gut. Ich war auch der jüngste Bewohner, die meisten waren 50-70 Jahre alt.
An dem Tag, als ich zum Krankenhaus fuhr, war ich schon sehr entzügig. Auf Station bekam ich sofort Distraneurin. Das half aber nicht wirklich. Ich litt sehr stark. Nach drei Tagen entschloss ich mich, an dem E2-Programm (eine Minitherapie) mit teilzunehmen – das dauerte genau so lang, bis ich nach Hause fahren würde. Von nun an hatte ich täglich Gruppe und Gespräche mit der Psychologin. Es ging vorwiegend darum, wie ich es im Haus Langhans schaffen könnte, trocken zu bleiben. Wir hatten dann auch eine kleine Helferkonferenz. Die Ärztin, die Psychologin, die Sozialarbeiterin und meine Bezugsbetreuerin nahmen daran teil. Es sollte alles erst einmal so bleiben und nach meinen Urlaub weiter entschieden werden. Während der Zeit im Krankenhaus war ich auch täglich bei Narcotics Anonymous – eine Selbsthilfegruppe für Süchtige. Die Strategie, die ich im Haus Langhans fahren wollte, war totale Abschottung gegenüber den anderen. Ich durfte auch mal testweise im Haus schlafen und das klappte ganz gut. Schließlich kam der Entlassungstermin und ich konnte nach Hause zu meinen Eltern fahren.
In Kressbronn am Bodensee konnte ich sehr viel nachdenken. Was war nur mit mir passiert? Hatte ich jetzt die Bestätigung, dass ich nicht mit Alkohol umgehen kann? Meine Betreuer haben mich falsch eingeschätzt. Ich war in der Lage, ohne Alkohol zu leben. Es fehlte mir nur eine Perspektive. Die hatte ich nun aber, denn ich wollte in die Bürgerhilfe einziehen. Das ist eine trockene Einrichtung, vorwiegend für Alkoholiker und auch Menschen mit Doppeldiagnose. Aber bis dahin war noch ein weiter Weg. Dass wurde mir dann auch klar. Die Betreuer reagierten eben auf mein Verhalten. Aber war ich wirklich ein hoffnungsloser Fall? Es ist meine feste Überzeugung, dass es keine „hoffnungslosen Fälle“ gibt. Jeder Trinker kann gerettet werden, wenn er genügend Leidensdruck hat und nüchtern werden wollte. Das Problem bei Spiegeltrinkern, wie ich es war, ist, dass man immer mehr konsumieren muss – in der Fachsprache Toleranzsteigerung genannt. In Kressbronn fühlte ich mich wohl, weil meine Eltern eben auch sehr strukturiert leben. Und ich hatte sehr lange und interessante Gespräche mit meinem Freund aus München.
Als ich wieder in Berlin war, änderte sich einiges. Das Haus Langhans hatte sich ein Alkohol-Messgerät angeschafft und ich musste nun jeden Abend pusten. Ich sollte beweisen, dass ich nüchtern bin. Mein Wunsch, auszuziehen, bedeutete, dass erst einmal eine Helferkonferenz beim Sozialpsychiatrischen Dienst stattfinden sollte. Meine Betreuer waren sehr skeptisch, dass ich es schaffen konnte, nüchtern zu bleiben. Aber dennoch wurde beschlossen, dass ich mich in der Bürgerhilfe bewerben kann, weil ich zu diesem Zeitpunkt fast zwei Monate trocken war. Ich besuchte weiter die Alkoholiker - Gruppe der Begutachterin und die Gruppe im Sankt Josefs Krankenhaus. So langsam wurde mir klar, wo ich gelandet war. Das Ganze begann am Morgen mit dem Frühstück. Ich sah in die versoffenen Gesichter, roch die Fahne des einen oder anderen und bekam ziemlich große Abscheu. Die Bewohner können ja nichts dafür, sie wohnten schon Jahre im Haus Langhans und tranken alle so viel, wie das Geld hergab. Genauso wie ich in meiner „nassen“ Phase. Bestimmt hatte ich damals auch ein „versoffenes“ Gesicht und ich roch auch nach Alkohol. Nur jetzt, wo ich nüchtern war, merkte ich es, wie abscheulich das war. Die Aufnahme in die Bürgerhilfe war beschlossen und ich zog dann im April um. Ich hatte mein Ziel erreicht.
Das war ein Ausschnitt über eine meiner „nassen“ Zeiten. Wenn ich heute darauf zurückblicke, dann habe ich immer mehr das Gefühl, dass ich damals von meinen Betreuern „stigmatisiert“ wurde. Das ging dann so weit, dass ich schon selbst dachte, dass ich es nicht schaffen kann. Trotzdem habe ich meine Hoffnung nicht aufgegeben. Die Betreuerinnen von PINEL waren erleichtert, dass ich in dem Heim untergekommen bin. Und sie waren erstaunt, als ich ihnen ein Jahr später sagte, dass ich nun in einer trockenen Einrichtung wohne. Für wen ist das Haus Langhans geeignet? Das ist eine Frage, die ich nur schwer beantworten kann. Ich finde Einrichtungen, in denen man vermeintlich „kontrolliert“ trinken kann, sehr kritisch. Sie sind für Menschen ohne Perspektive – wie ich damals im Haus Langhans ankam.
In der Bürgerhilfe hatte ich auch meine Rückfälle – nur dort wurde dann genau aufgearbeitet, was geschehen war. Nach vier Jahren zog ich in die Therapeutische Wohngemeinschaft, „Das Fünfte Rad e.V.“ wo ich im Moment lebe. Es tut mir hier gut und ich habe Arbeit. Ich habe nicht gedacht, dass sie so wichtig ist, um im Leben auch einen Sinn zu sehen. Im Moment bin ich in der Druckvorstufe von USE (Union sozialer Einrichtungen) beschäftigt. Da ich nun genau weiß, was ich will und was ich nicht will, bin ich im Moment trocken und froh darüber.
Es gab noch weitere Phasen in meinen Leben, wo ich konsumiert habe. Aber ich will es erst einmal dabei belassen.
Martin H.